Welche Erleichterung nun wieder wohlbehalten in Europa angekommen zu sein! Die Passage zurück bereitete mir je länger ich die Wettervorhersagen studierte, umso mehr Sorgen. So gab es gleich wochenweise Wetterlagen, die eine Fahrt ausschlossen, allerdings verfügte ich nur über ein Zeitfenster von 3 Wochen (selber Schuld!). In der Theorie hängt man sich an die Rückseite eines von der nordamerikanischen Küste herkommenden Tiefs und kommt so in den Genuss von Winden aus W bis SW, kann also Raumschot zu den Azoren laufen. Allerdings bringt ein Tief auf der Vorderseite erst mal Warm- und Kaltfronten mit sich, was ausgedehnten Niederschlag und auch schon mal heftigen Wind bedeutet, der auch auf NE drehen kann, also dann gegenan stehen würde.
Wetterstudium auf Bermuda
Bermuda legt ja grossen Wert darauf, dass niemand hängen bleibt. Also müssen Reisende mit Einfach-Flugtickets ein Bestätigungsschreiben des Skippers mitführen, dass sie als Crew auf einer Yacht ein- resp. ausreisen. So verlief der Crew-Wechsel in St.George‘s (fast) problemlos. Andi flog zurück in die Schweiz, Yannick kam plangemäss am Steg an. Allerdings meldete sich Christian ab, da ihn eine Grippe ins Bett geworfen hatte. Nun denn, wir waren auch zu Dritt gut für die Passage gerüstet.
Am Wochenende zog „Andrea“ als erster „Named Tropical Storm“ dieser Saison etwas W der Bermudas durch und verhinderte mit NE-Winden eine Abfahrt. Dies ist eigentlich ungewöhnlich früh im Jahr, beginnt die Hurrican Season doch eigentlich erst gegen Ende Juni. Hingegen versprach der Dienstag ein Wetterfenster, das mindestens 72h guten Wind erwarten liess. Einige andere Yachten sahen dies ähnlich, andere liefen auch schon am Wochenende aus.
Am Montag fuhren wir um die Insel herum nach Dockyard, um vom vergünstigten Angebot für Diesel zu profitieren (0.67USD pro lt!) und füllten alle Tanks. Dann ging es weiter nach Hamilton zum Aufstocken der Vorräte mit Früchten und Gemüse. Die Preise auf Bermuda sind gegenüber den Bahamas nochmals höher, man fragt sich wie die lokale Bevölkerung sich dies leisten kann, einmal abgesehen von den Steuerflüchtlingen, die wohl kaum unter lokal fallen. So lässt man für einen Apfel mehr als 1USD liegen, 1lt Milch kostet knapp 4USD und ein Brot über 5USD. Zum Glück ist der Tiefkühler an Bord noch bis oben hin mit Vorräten aus Puerto Rico und der DomRep gefüllt und die Bilge mit Wein und Bier gut bestückt.
Auf ins Abenteuer!
Die Wetterprognosen bestätigen weiterhin, dass Dienstag eine brauchbare Option darstellt. Allerdings kündigt sich mittlerweile auf das Wochenende hin ein ordentliches Tief an, dessen Zugbahn uns wohl oder übel treffen wird. Länger zu warten verheisst keine bessere Alternative, nur Flauten und neue Ungewissheit. Silke hat einen Garmin InReach Explorer dabei, sodass wir über Satellit SMS-Nachrichten versenden und empfangen können. Damit bekommen wir auch über die ersten 5 Tage der Prognose vor Abfahrt hinaus laufend aktualisierte Wetterdaten von einem Segler aus Deutschland. Als Anhaltspunkt dazu bestimme ich 12 Wegpunkte in 140M Abstand bis hinüber nach Flores.
Gleich nach Ausfahrt durch den engen Town Cut von Saint George’s können wir Segel setzen und laufen bei F5-6 aus SSE recht flotte Fahrt von über 7kn auf Halbwind im ersten Reff. Über Nacht dreht der Wind gar bereits auf SW und schwächt sich auf F4-5 ab, sodass wir Raumschot laufen können und schliesslich bei WSW sogar platt vor dem Wind mit ausgebaumter Genua fahren. Der erste Tag stimmt uns mit einem ETMAL von 144M optimistisch.
Am Himmel zeigen sich die Vorboten einer herannahenden Warmfront mit hoher Bewölkung. Ich reagiere rückblickend zu zögerlich und lasse mich vom Einfall der Front überraschen. Schlagartig dreht der Wind um 90° auf N und frischt auf F6 auf, in Böen auch mehr. Wir bergen den Spibaum glücklicherweise unbeschadet und gehen nun im zweiten Reff wieder halbwegs auf Kurs. Der nördliche Wind zwingt uns weiter nach Süden, was aber in Anbetracht des angekündigten Tiefs vom Wochenende als geeignete Strategie erscheint. Jedoch nun laufen wir fast Amwind-Kurs, die Wellen treffen schräg von vorne auf den Bug und wir schieben ordentlich Lage. Mittlerweile hat Dauerregen eingesetzt und der Wind bringt es in Böen auf über 30kn. Kochen muss also mit minimalem Aufwand stattfinden, es gibt für einmal nur Teigwaren mit Fertigsauce.
Diese Fahrt setzt sich so die ganze Nacht fort und bis in den nächsten Tag hinein. Schlafen geht kaum, der Lärm vom Wind und das Schlagen der Wellen sind zu heftig. Am Mittag schlägt eine grosse Welle über das Vorschiff und knallt mit voller Wucht in die Sprayhood. Deren Schienenführung reisst auf der ganzen Breite aus dem Holz, die Sprayhood klafft nun weit offen und lässt das Cockpit ungeschützt. Zum Glück ist der Stoff nicht gerissen! Die Crew holt viel Wasser aus der Bilge, selbst der Kochherd ist voll mit Wasser. Ich schaffe es, die Schienen etwas versetzt neu festzuschrauben und die Sprayhood wieder dicht zu montieren. Ausserdem sieht das Grossfall auf Höhe des ersten Reffs arg ramponiert aus, trotz mittlerweile angebrachter Dynema-Hülle. Wir beschliessen dieses erst bei Nachlassen der Winde zu reparieren. Dieser zweite, sehr anstrengende Tag bringt uns ein ETMAL von 157M und mit Erleichterung nehmen wir die Wetterbesserung zum Einbruch der Nacht entgegen. Nach etwas Anlaufschwierigkeiten startet der Generator. Die Crew wird mit einem süss-scharfen Chickencurry mit Gemüsereis für diese ersten Strapazen belohnt.
Erholung und Reparaturen bis zum nächsten Frontensystem
Diese nächste Nacht und der folgende Tag verlaufen relativ ruhig und erlauben den verpassten Schlaf etwas nachzuholen. Dank Schichten von 3h während der Nacht ergibt dies immerhin 6h am Stück pro Crewmitglied. Nachts um 03h stellt der Wind gar fast ganz ab und wir laufen ab dann unter Maschine. Das dritte ETMAL erreicht nur noch 118M, was uns aber voll ok erscheint.
Bei dieser Gelegenheit repariere ich unter Tag das Grossfall, schneide das schadhafte Stück weg und platziere die Dynema-Hülle neu. Diese wird mit der Leine vernäht, damit sie nicht verrutschen kann. Beim Setzen des Gross verhakt sich das Fall dummerweise am Radarreflektor gleich unterhalb der zweiten Saling. Wohl oder übel muss ich also auf den Mast hoch um dieses wieder freizubekommen. Trotz wenig See schaukelt der Mast recht heftig, also sichere ich mich mit einer zusätzlichen Schlinge, um den Kontakt nicht zu verlieren.
Auf die Nacht hin erwarten wir aufgrund der ersten Prognose jenes besorgniserregende Tief mit der nächsten Front, also gehen wir vorsichtshalber ins 2. Reff. Tatsächlich frischt der Wind gegen 23h wieder auf F6 aus SSW auf, gestattet aber nun wieder Raumschot-Kurs. Der Autopilot steuert trotz hoher Wellen sehr zuverlässig und wir laufen zwischen 7-8kn recht flott. Auf diesem Kurs krängt das Schiff zumindest nicht, allerdings wirken recht starke Beschleunigungskräfte, die alles umwerfen, das nicht gut gesichert ist. Am Tag darauf setzt sich der Starkwind fort, die Böen erreichen auch schon mal 38kn und es regnet immer wieder. Unser ETMAL erreicht 159M. Wir sind etwa soweit östlich wie geplant, allerdings etwa 30M südlich der Grosskreisroute. Aber dies war ja auch so vorgesehen, um dem Tief etwas auszuweichen und nun nach NE ablaufen zu können.
Mit einer kurzen Flaute kündigt sich gegen Mittag dann fast übergangslos die Kaltfront an. Erst zieht ein kurzer Hagelschauer vorbei, dann setzt heftiger Regen ein. Der Wind frischt wieder auf F6-7 auf und dreht auf S. So beginnen wir unsere Kursabweichung wieder abzubauen und laufen nun in NE-Richtung mit meist über 8kn. Gegen Abend gehen wir schliesslich sogar ins dritte Reff (eine Premiere bisher mit der Shiva), die Böen erreichen Spitzenwerte von 42kn. Eine erneut unruhige Nacht steht uns bevor.
Sonniger Sonntag und Wetterberuhigung
Am nächsten Tag hellt das Wetter endlich auf und selbst die Sonne scheint gelegentlich. Seit den Überfahrten letzten Herbst nach Madeira, zu den Kanaren und Kapverden hatte ich nie Oelzeug gebraucht. Nun steckte ich seit fast 5 Tagen praktisch ständig drin. Alles war feucht und kalt. Wir sind alle erleichtert, denn das schlimmste Wetter sollte nun endlich hinter uns liegen und trocken unsere Sachen an Deck. Der fünfte Tag bringt wieder ein ETMAL von 151M, wir liegen also sehr gut im Plan.
Der Wind dreht nun wieder zurück auf WSW und später W, geht auf angenehme F5 zurück und erlaubt endlich wirklich entspanntes Segeln auf Raumkurs oder vor dem Wind. Die Wellen sind von den Starkwindphasen her zwar immer noch recht hoch, allein daran haben wir uns mittlerweile gut gewöhnt. Das nächste ETMAL beläuft sich auf 145M und wir haben nach genau 6 Tagen bereits die halbe Strecke nach Flores absolviert. Es fehlen noch 842M, im Kielwasser haben wir 874M gelassen.
Eine Kontrolle des Generators zeigt zu meinem Schrecken auf, dass eine der Gummikappen am Wärmetauscher gerissen war, also im Betrieb Seewasser in den Motorraum und die Bilge ausgelaufen war. Dies erklärte somit teilweise das viele Wasser dort, das über 20cm hoch stand. Wir ersetzen das schadhafte Teil und bringen den Generator wieder zum Laufen. Diesmal endlich trocken und nun hoffentlich auch ohne weiteren Verlust von Kühlmittel.
Einer Reparatur folgt auch gleich der nächste Schaden: ein Crew-Mitglied stürzt in die Kastentüre und reisst die Scharniere aus dem Rahmen. Bei Raumkurs bewirkt die See halt weiterhin erhebliche Beschleunigung im Durchzug der Wellen. Nun, auch dies wird also unterwegs neu verleimt.
Ruhige Fahrt bei W/SW-Wind bis zur nächsten Front
Der nächste Tag bringt eine beruhigend ruhige Fahrt von rund 6kn auf Raumkurs bei allmählich nachlassendem Wind von anfangs F6 bis hinunter auf F4. Das nächste ETMAL erreicht wieder 142M, allerdings in 23h, denn wir haben die Bordzeit um eine Stunde vorgestellt (wäre also 155M).
In der folgenden Nacht rechnen wir aufgrund der per SMS erhaltenen Angaben aus DE mit der nächsten Front und bereiten uns entsprechend vor. Um 22h trifft diese tatsächlich ein, die Böen erreichen Spitzen von 36kn und es gibt einmal mehr ausgiebige Regenschauer. Wir können jedoch idealen Kurs laufen und erreichen im 2. Reff weiterhin 6-7kn Fahrt.
Durch die Sargasso-Teppiche haben sich an der Turbine des Schlepp-Generators immer mal wieder ganze Ballen dieser zähen Algen angesammelt. Dies kann erhebliche Unwucht am Generator erzeugen. Seit der letzten langen Überfahrt habe ich die Knoten an der Leine zur Turbine vernäht. Sinnigerweise löste sich diesmal der Schäkel am Generator, somit waren am Morgen sowohl Leine als auch Turbine weg. Neu wird also auch dieser Schäkel mit Kabelbinder gesichert. Dass zudem auch noch eine der Lüfterhutzen fehlte, trübte meine Stimmung zusätzlich.
Nun, zumindest überstanden wir diese 4. Front abgesehen von obigem Ärger sehr gut und waren am nächsten Mittag um ein ETMAL von 148M weiter. Allerdings hatte sich der Wind am Morgen dann gleich ganz verabschiedet. So begann eine etwas längere Phase, die wir abwechselnd unter Maschine oder hoffnungsvoll unter Segel liefen. Während insgesamt 29h hielt diese Phase an, erst am Abend von Auffahrt/Vatertag kehrte der Wind in segelbarer Stärke zurück. Dank bisher äusserst zuverlässiger Nanni kamen wir aber weiterhin auf ein ETMAL von 132M. Auch der Generator sah nun endlich gut aus und liess sich problemlos starten.
In schneller Fahrt direkt bis Horta
Die nächsten beiden Tage wurden wir mit fast idealen Windverhältnissen belohnt. Aus SW bis WSW treibt uns Windstärke F6-7 mit oft über 8kn schneller Fahrt auf die Azoren zu. Wir erreichen an zwei Tagen in Folge gleich ein ETMAL von 173M.
Oftmals bekommen wir nun auch Besuch von Delfinen, die in ganzen Rudeln um den Bug der Shiva herumspielen. Höhepunkt bildet eine Gruppe von weit über 20 Tieren, die uns während langer Zeit begleiten und mit Sprungeinlagen beglücken. Offenbar wollten sie zu Silke’s Geburtstag gratulieren? Den Geburtstagskuchen gab es allerdings schon einige Tage früher, damit dieser nicht vorzeitig verderben konnte. Stattdessen wurden Pancakes zum Frühstück gereicht.
Am Abend des 12. Tages wäre Flores, die westlichste Insel in Sichtweite gekommen, sofern der Himmel nicht so bedeckt gewesen wäre. Zumindest fing das Mobile wieder ein Netz auf. Unsere Ankunftszeit wäre mitten in die Nacht gefallen, der Hafen nur klein und eng. Auch in Anbetracht der noch verbleibenden Strecke bis zum Endpunkt Ponta Delgada beschlossen wir spontan, gleich bis Horta auf Faial durchzufahren.
Allerdings ging dies dann doch nicht mehr im selben Tempo weiter, wie wir in den beiden vorhergehenden Tage verwöhnt worden waren. Wir konnten jedoch abgesehen von einer kurzen Zeit dazwischen unter Segel fortsetzen. So erreichten wir in der nächsten Nacht um 0130h die Marina von Horta. Wir legten im Päckchen in vierter Reihe an einem Katamaran ruhig an. Das Anlegerbier danach schmeckte hervorragend und die paar Schritte an Land lösten ein grossartiges Gefühl von Erleichterung und Zufriedenheit aus.
Statistik der Überfahrten mit der Shiva
Atlantik ostwärts ab Bahamas (11.-17.05. & 21.05.-02.06.2019):
Bermuda 756M davon 680M unter Segel; 5.8Tg resp. 140h; Schnitt 5.4kn
Azoren 1855M davon 1600M unter Segel; 12.5Tg resp. 300h; Schnitt 6.2kn
Atlantik westwärts ab Kapverden (03.-17.12.2018):
Barbados 2048M, davon 2034 unter Segel; 12.9Tg resp. 310h; Schnitt 6.6kn
resp. Tobago Cays +111M
Die Passage ostwärts von den Bahamas aus ist deutlich weiter als jene westwärts. Sie ist auch einiges weiter als jene von den kleinen Antillen resp. den Windwards aus (z.B. Sint Maarten/Saint Martin). In Anbetracht der Wettersysteme würde ich künftig die Überfahrt nicht mehr so weit im Norden beginnen, sondern spätestens von Puerto Rico aus auf die Azoren zuhalten.
Ruhepause auf den Azoren
Die letzte Überfahrt von Horta nach Ponta Delgada wird zu einem sonnigen, entspannten Schlag. Zwar motoren wir erst noch recht lange, bis endlich der Wind einsetzt. Dann aber geht es gemütlich und doch zügig voran. Erneut besuchen uns Delfine, die Stimmung könnte kaum besser sein. Als ich am Morgen zum Stilllegen des Wassermachers den Generators starten will, macht der nur hässliche Geräusche. Nicht schon wieder! Ein Mechaniker kümmert sich nun drum. Zum Glück sind wir vorerst nicht mehr auf den Generator angewiesen.
Nun bleiben wir noch bis im Juli auf den Azoren, die landschaftlich ausgesprochen reizvoll sind. Neue Crew kommt nächste Woche an Bord, dann versuchen wir nochmals Richtung Westen bis nach Flores zu kommen. Gegen Ende Juli kommt dann die letzte längere Passage nach Gibraltar und schliesslich nach Italien. Mitte August kommt die Shiva dann ins wohlverdiente Winterlager und dieses 18 Monate dauernde Abenteuer zum Abschluss. Gut so.